Das Mitterfelser Gericht mit dem Gefängnis. Foto: Stolz/AK Heimatgeschichte Mitterfels
[*Die Autorin Simona Cukerman hat aus der letzten Hinrichtung in Mitterfels 1847 einen „Kriminalfall“ im Rahmen einer Serie des Straubinger Tagblatts gemacht. Kriminalfälle müssen spannend erzählt werden. Geschichtliche Tatsachen aber sollten genau recherchiert werden. Wir erlauben uns deswegen, den Titel „Der letzte Mann, dem Bayern den Kopf abschlug“ zu verändern: „Die letzte Hinrichtung im Hohen Gericht Mitterfels“. In Bayern wurden auch noch nach 1847 Verbrecher mit dem Schwert hingerichtet!
Ebenfalls muss der Ort der Hinrichtung korrigiert werden: Die Richtstätte befand sich 1847 zwischen Moosmüller und Höfling, nicht im Burghof! Red.]
Dominikus Hahn aus dem Landkreis Straubing-Bogen war Lehrer, Ehemann, Christ – und der letzte, der in Mitterfels* mit dem Schwert enthauptet wurde ...
... weil er seine schwangere Frau töten ließ.
In der Stube des Schulhauses liegt Anna Maria Hahn auf dem Boden. Ihr Gesicht ist dunkel verfärbt, die Augen hervorgetreten, aus ihrem Mund tritt Blut. Am Hals: eine tiefe Strangrinne. Der Knoten des Stricks zur Seite hin verschoben. In ihren Haaren hat sich ein Ohrring verfangen.
Anna Maria war im fünften Monat schwanger. Das ungeborene Kind – ein Junge – ist vollständig ausgebildet, zweieinhalb Pfund schwer, blühend entwickelt. Auch er ist nun tot. Die Ärzte haben keine Zweifel: Die Frau wurde erdrosselt.
Es ist der 11. November 1844 in Konzell (Landkreis Straubing-Bogen). Was hier geschehen ist, ist nicht einfach nur ein Mordfall. Es ist eine Geschichte von Gier, unerlaubter Liebe und einem Mord im Schatten des Altars. Die Originalakten aus dem Staatsarchiv Landshut zeichnen das Bild eines Mannes, der jahrelang zwischen Pflichtgefühl und verbotener Leidenschaft schwankte – bis er den letzten Schritt wagte.
Pflicht auf dem Papier und Hass im Herzen
Dominikus Hahn ist ein Mann mit Stellung. Seit 1829 unterrichtet er an der Schule in Konzell. Er ist diszipliniert, gottesfürchtig. Ein Mann, auf den Verlass ist. Einer, der Ordnung liebt und der zu herrschen versteht. Für seine Schüler ist er streng, für deren Eltern zuverlässig.
Im Obergeschoss des Schulhauses lebt mit ihm Magdalena Hahn, seine Magd, seine Cousine. Mit ihr teilt er sich seit Jahren Dach, Tisch und Bett. Das Dorf weiß davon, dass sie seine Geliebte ist.
Als 1843 der alte Pfarrer stirbt, drängt der neue Geistliche auf klare Verhältnisse. Hahn heiratet. Nicht seine Cousine Magdalena, sondern Anna Maria Lutz, die Tochter eines Chamer Gastwirts. Sie ist 25, gottesfürchtig, tüchtig. Eine Verbindung, die passt – zumindest auf dem Papier.
Zehn Monate nach der Hochzeit wird Anna Maria schwanger. Was für sie Hoffnung bedeutet, wird für Hahn zu einem Bruch. Er zieht sich zurück, vermeidet ihre Nähe. In seinem Tagebuch schreibt er: „Ich habe mich auf Irrwege begeben.“ Gemeint ist nicht das Verhältnis zu seiner Cousine Magdalena, sondern seine Ehe.
Mit wachsendem Bauch wächst auch Dominikus’ Hass. Er fängt an zu planen. Eine Scheidung kommt nicht infrage. Dominikus sucht nach einer Lösung, die keine Zeugen hinterlässt.
Im Frühjahr 1844 spricht er mit seiner Cousine, die immer noch im selben Haus wohnt. Der Lehrer fordert sie auf, Anna Maria zu vergiften – mit Blei. „Dass sie Bauchgrimmen bekomme“, wie Magdalena später zu Protokoll gibt.
Mehrmals mischt sie Gift unter die Suppe. Ohne Erfolg. Anna Maria klagt über Unwohlsein, wird aber nicht ernsthaft krank, da sie sich als Schwangere übergibt und das Gift nicht in sich behält. Plan B muss greifen.
Im September 1844 beginnt Dominikus mit Egid Hahn zu sprechen. Er ist Magdalenas Bruder und hatte bereits 1840 einen bedeutenden Diebstahl verübt. Dominikus spricht mit Egid von Trennung, von Schande, von Suizid. „Wenn du es nicht machst, bringe ich mich um“, soll er gesagt haben. Er fleht. Er drängt. Mehrfach treffen sich die beiden. Im Wald. Im Wirtshaus. Im Schulhaus. Im Turm der Kirche. Egid zögert wochenlang. Immer wieder bittet der Lehrer Egid um die Tat. Im Oktober gibt er nach. Aus Schuld. Aus Schwäche. Aus Hörigkeit.
Während das Dorf feiert, stirbt eine schwangere FrauEs ist der 11. November 1844, Martinitag. Der Lehrer verlässt gegen Abend das Haus, geht ins Bräuhaus. Dort trinkt er ein Glas, spricht mit Bekannten. Kümmert sich um sein Alibi.Magdalena versteckt sich im Keller des Hauses. Alles ist vorbereitet. Sie öffnet die Hintertür, lässt ihren Bruder herein. Reicht ihm einen Rock, damit Egid nicht erkannt wird. Und den Strick, der bald Anna Marias Kehle einschnüren wird.
Anna Maria ist allein, als Egid in die Wohnstube eintritt. Sie steht auf, fragt ihn, was er wolle. Dann wirft ihr Egid den Strick über den Hals. Sie gibt nur einen einzigen Schrei von sich, den niemand hört.
Wenig später wird es still. Egid kniet nieder, macht ein Kreuz über der Toten, murmelt ein Gebet. Dann durchwühlt er die Kästen, nimmt eine silberne Uhr mit. Der Mord soll wie ein Raub wirken. Danach verlässt Egid das Haus und geht ins Wirtshaus.
Als Magdalena zurückkehrt und Anna Maria mit einem Bettlaken verdeckt tot auffindet, ruft sie den Bader. Der Strick liegt noch um Anna Marias Hals, das Gesicht geschwollen, die Lippen blutverkrustet, die Zunge quillt hervor. Die Augen stehen offen. Später stellen Ärzte auch den Tod des ungeborenen Kindes fest. Ein Junge, vollständig entwickelt, etwa zweieinhalb Pfund schwer. Noch in derselben Nacht wird Egid Hahn festgenommen. Am Morgen gesteht er. Ohne Umschweife, ohne Ausflüchte. Er schildert jedes Detail. Die Vorbereitung. Die Ausführung. Den Auftrag. Auch Magdalena wird verhaftet. Ihre Aussage deckt sich mit der ihres Bruders. Der Lehrer streitet unterdessen alles ab. Tage-, wochenlang. Erst leugnet er die Gespräche mit Egid. Dann räumt er ein Treffen ein. Später bekennt er die Mordabsicht, widerruft sie wieder. Aber die Indizien sind erdrückend: Mehrere Ärzte untersuchen die Tote. Sie sind sich einig: Tod durch Erdrosselung. Kein Suizid. Keine Krankheit. Keine Zweifel, dass Anna Maria getötet und ihr Kind durch Sauerstoffmangel infolge der Strangulation der Mutter gestorben ist. Und so wird im Januar 1846 das Urteil gesprochen: Alle drei – Egid, Magdalena, Dominikus – werden zum Tode verurteilt. Die Tat sei grausam, geplant und aus niederen Motiven verübt worden. Magdalena und Egid werden später von König Ludwig I. begnadigt – zu lebenslanger Haft in Ketten. Hahn aber erhält keine Gnade.
Ein Gedenkkreuz am Wanderweg vom Gallnerkircherl hinab nach Landorf erinnert an die ermordete Anna Maria Hahn. – Foto: Franz Tosch
[Der Ort der Hinrichtung im nächsten Absatz bedarf einer Korrektur: „Mit dem Sterbekreuz in der Hand, ließ er sich vom Pfarrer Lautenbacher zum Sünderkarren führen. Vorne saß der Fuhrmann, dahinter, neben dem Henkersknecht, der Todeskandidat, ihm gegenüber der Pfarrer, der ihm Trost zusprach und von Zeit zu Zeit betete. Dann fuhr der Karren durch das wie ausgestorbene Dorf ins Freie, zum Richtplatz kurz vor Höfling. Dort wogte die erregte Menschenmenge, wich dem heranpolternden Wagen scheu aus und verstummte. …“ Aus: Rede bei der Hinrichtung des Dominikus Hahn gehalten von Josef Lauterbacher, Pfarrer und Distrikts-Schulinspektor zu Mitterfels, am 13. August 1847, die Sie in voller Länge bei bavarikon,de finden. In einem eigenen Beitrag können Sie den Bericht des Landrichters Wieser nachlesen. Siehe PDF-Datei unten! Red.]
Am Freitag, 13. August 1847, wird auf dem Hof des Landgerichts Mitterfels ein Schafott errichtet. Drei Meter hoch. Damit alle sehen, was gleich geschehen wird. Tausende versammeln sich. Sogar Menschen aus Passau kommen. Viele mit Kindern. Ein öffentlicher Tod – wie ein düsteres Schauspiel.
Hahn trägt ein weißes Sterbehemd. Auf der Brust eine schwarze Schandtafel: des Mordes und Todesstrafe schuldig. Der Scharfrichter aus Eichstätt wartet. Ein Hieb, und der Kopf fällt.
Es ist die letzte öffentliche Enthauptung mit einem Schwert, die in Bayern vollzogen wurde. In Konzell erinnert nichts mehr an Hahn. Kein Grab, kein Schild, kein Stein. Nur der Abdruck des Stricks auf dem Hals seiner Frau – dokumentiert für die Ewigkeit.
Info
In der Serie „Tatort Ostbayern“ erzählen wir in loser Reihenfolge von spektakulären Kriminalfällen, die die Menschen in der Region bewegt haben. Alle bisher erschienenen Artikel der Serie finden Sie unter www.idowa.de/tatort-ostbayern. Als Abonnent unserer Zeitung oder des ePapers können Sie alle Plus-Artikel auf idowa.de gratis lesen.
Von Simona Cukerman/BOG Zeitung vom 19. August 2025 (Gen. der Lokalredaktion)
>>> Aus Chronik Markt Mitterfels:
Die letzte Hinrichtung in Mitterfels 1847 (mit einem Bericht des Landrichters Wieser). Sie können die PDF-Datei mit einem Klick auf das PDF-Icon unten öffnen!